30. VdF-Fachtagung

Die 30. VdF-Tagung fand in diesem Jahr in Würzburg statt. Foto: VdFDie 30. VdF-Tagung fand in diesem Jahr in Würzburg statt. Foto: VdFStellschraube Lebensmittel

Lebensmittel - eine der vier Stellschrauben beim ganzheitlichen Planen - standen im Mittelpunkt der diesjährigen Fachtagung des Verbandes der Fachplaner Gastronomie Hotellerie Gemeinschaftsverpflegung (VdF) in Würzburg. Rund 200 Gäste aus dem In- und Ausland lauschten den spannenden Vorträgen von acht Top-Referenten.

GastroSpiegel, 28.06.2013 – Es war eine Tagung mit einer dicken Portion Nachdenklichem: Über 200 Gäste hatten sich auf den Weg nach Würzburg zur 30. VdF-Fachtagung gemacht, doch einige hielten die Hochwasser längs der Elbe ab, manche freiwillig als Fluthelfer. So erhielt der rote Faden der Tagung eine realistische Untermalung, fast schon ein Beweis von Mutter Natur vor unserer eigenen Haustür. Denn was wir tun oder lassen mit und an Lebensmitteln, als Berater, Planer, Produzent, Hersteller, Gast – alles steht in einem großen Zusammenhang.

 

Foto: VdFFoto: VdF„Als Fachplaner verantworten wir das gesamte System Küche, und wir verfügen über vier Stellschrauben, die miteinander interagieren“, erläuterte eingangs der VdF-Vorstandsvorsitzende Carsten Zellner, zugleich Start- Referent. Die vier Hebel sind Personal, Lebensmittel, Technik und Fläche. Dazu entwarf Zellner für das System Küche den Sinner’schen Kreis, ursprünglich ein Erklärungsansatz für den Mechanismus bei Reinigungswirkungen. „Es ist immer ein Balanceakt und unsere ureigenste Aufgabe als VdF-Fachplaner, das Regelsystem Küche so auszutarieren, dass für den speziellen Fall etwas Sinnhaftes entsteht.“ Anhand konkreter Planungsbeispiele aus den vergangenen 15 Jahren demonstrierte er, wie sich die Faktoren Technik, Fläche, Personal beziehungsweise Know-How und unterschiedliche Conveniencegrade bei Lebensmitteln veränderten, gegenseitig beeinflussen und heute komplett andere und höchst unterschiedliche Küchenwelten entstehen lassen.

Eines der Beispiele: In einem konkreten Projekt kombinierte der Fachplaner für eine Krankenhausküche das System Cook & Chill mit High Convenience. Der Flächenbedarf schlug dabei mit einem außergewöhnlich niedrigen Wert von 0,07 Quadratmeter je Essensteilnehmer zu Buche. In einem anderen Fall setzte Zellner bei denselben Rahmenbedingungen auf einen geringen Conveniencegrad der Lebensmittel. Der Flächenbedarf stieg um mehr als das Doppelte.

Klimabilanz von Tiefkühlkost

Bauherren bewerten solche Aspekte zunächst rein wirtschaftlich. Doch wie kommt man zu einer ökologischen Bilanzierung von Lebensmitteln und Prozessen? Carl-Otto Gensch vom Öko-Institut in Freiburg zeigte in seinem Vortrag zur Klimabilanz von Tiefkühlkost, dass es stets einen ganzheitlichen Ansatz braucht, wobei am Ende überraschende Ergebnisse aufwarten können. Zum konkreten Fall: Zwar sind Kühlgeräte aller Art dicke Stromverbraucher, gleich welcher Energieeffizienzklasse auch immer. Aber: „Zu berücksichtigen sind alle potenziellen bilanzierbaren Auswirkungen von Treibhausgasen entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produkts.“ So verursachen Verpackung und Distribution bei den selbst zubereiteten Speisen im Haushalt derart viel CO2, dass unter dem Strich Tiefkühlkost für Haushalte in Sachen klimaschädlicher Gase nahezu gleichauf mit frisch produzierten Speisen liegt. Tiefkühlkost ist mithin nicht der erwartete Top-Klimaschädling.

Spannend sicher die Frage aus dem Plenum: Wie sieht es mit der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Gemeinschaftsverpflegung aus? Also der Vergleich: Frisch produzieren versus Cook & Chill respektive Cook & Freeze beziehungsweise Kochen mit Tiefkühl-Produkten? Der Freiburger Ökoforscher sah dort noch Klärungsbedarf, aber: Analog zum Verbraucherverhalten im Haushalt, das das Pendel in der Klimabilanz eher pro Tiefkühlkost ausschlagen ließ, seien wohl auch die Prozesse in der gewerblichen Küche und das Koch-Verhalten ein ausschlaggebender Faktor in der Klimabilanzierung.

Anfang einer guten Küchenplanung

Torsten Dickau. Foto: VdFTorsten Dickau. Foto: VdFWelche Lebensmittel und welche Technik gehören in meine Küche? Aus Sicht von Torsten Dickau von Nestlé Professional eine Überlegung, die an den Anfang einer guten Küchenplanung gehört und von Fachplanern mit und im Kontext zu lösen sei. Der Leiter des Nestlé Service Center plädierte für einen engeren Schulterschluss zwischen Fachplanern und denjenigen, die Lebensmittel passgenau zu verschiedenen Küchentypen und Köchetypen entwickeln und herstellen. „Wir bauen Speisenpläne nach dem, was wir in den Küchen an Geräten, an Know-How und an Zeit vorfinden“, verdeutlichte der Koch und Oecotrophologe den Zusammenhang. Rund 4.000 neue Lebensmittel unterschiedlichster Bearbeitungsstufen gelangen jährlich auf den Markt - zu einer schon fünfstelligen Anzahl von vorbereiteten Lebensmitteln. Was dabei wie zu verarbeiten ist oder welcher Gerätepark dafür notwendig sei, dafür fehle es häufig an Wissen in den Küchen. Erschwerend kommt die hohe Abbrecherquote von über 50 Prozent im Azubi-Kochhandwerk hinzu. Die Personalsituation verlange daher in der Küchen- und Speisenplanung immer häufiger eine Ausrichtung auf ungelernte Kräfte.

Wenn es das Wort authentisch noch nicht gäbe, man müsste es für den Referenten Andree Köthe erfinden. Der Koch des Jahres 2012 setzt in seinem Restaurant „Essigbrätlein“ in Nürnberg auf das Ursprüngliche, das, wonach schon unsere Urahnen Lebensmittel auswählten und in essbar und giftig unterschieden: auf Geschmack und Farben. „Ich verkaufe Speisen wirklich nur nach Geschmack, nicht nach dem Wert aus dem Produkt, etwa einem Kalbsfilet“, erklärte er dem verblüfften Publikum. Inspiration und Anregungen dazu holt er sich direkt aus der Natur vor der Haustür. Unter Anleitung eines Biologen entdeckte er schon rund 200 verschollen geglaubte Gemüse und Kräuter wieder neu, etwa die Zuckerwurzel. In der Hand einen Strauß mit blühendem Lauch und blühendem Grünkohl erläuterte er, dass sich weitaus mehr Pflanzenteile im Laufe eines Pflanzenlebens zu Leckereien verarbeiten lassen als nach reiner Kochlehre. Das ist Nachhaltigkeit pur.

„Einsparpotenzial einer Großküche“

Carola Strassner. Foto: VdFCarola Strassner. Foto: VdFDie eigenen Konsummuster überdenken, das war auch eine der Anregungen aus dem Vortrag von Professorin Carola Strassner von der Fachhochschule Münster. „Wir essen vom Huhn nahezu ausschließlich die Edelteile. Das bewirkt in anderen Ländern Armut.“ In ihrem Vortrag zur Blackbox „Nachhaltigkeit“ stimmte sie mit Luftaufnahmen unserer Erde nachdenklich über das, was wir mit verschiedenen Essstilen auslösen. Ein bedrückendes Bild etwa eine Luftaufnahme von endlos aneinandergereihten, künstlich bewässerten Gewächshäusern für Tomaten, und zwar in den trockensten Gebieten Europas, in Südspanien. „Es lohnt darüber nachzudenken, wie viel virtuelles Wasser Tomaten und andere Lebensmitteln enthalten, sprich wie viel Wasser zur Produktion aufzuwenden ist“, sagt Strassner. „Hier steckt für Wasser das wahre Einsparpotenzial einer Großküche.“ Nur ein Beispiel: Ein Kilogramm Rindfleisch enthält 15.000 Liter virtuelles Wasser.

Live-Schaltung nach Düsseldorf. Foto: VdFLive-Schaltung nach Düsseldorf. Foto: VdFEin technisches Novum war die Liveschaltung zur 300 Kilometer entfernt stattfindenden Tagung des Institute of Culinary Art (ICA) in Düsseldorf. Sie brachte den Visionär und Trendscout der Branche, Pierre Nierhaus aufs Podium oder besser: auf die Leinwand. Er führte die Auditorien in Würzburg und Düsseldorf zusammen in weltweite Malls, in denen man einen gemeinsamen Lebensstil teilt und verführt werden möchte: per Gastronomie, Düften, Ambiente, Produkten, Service. Hier wird eigentlich alles schick zelebriert – selbst Fast Food. Doch auch hier koche man, was das Planerische anbelangt, auch nur mit Wasser, meint der ehrliche Weltenbummler. Zwar sind die gigantischen Mall-Gastronomien eine logistische Herausforderung für Planer. Aber manches, was stylisch daherkommt, entspricht, abzüglich der Deko, einer guten Betriebsgastronomie mit einer Linienproduktion in der Ausgabe. Es lebe die Verpackung.

Gegen Lebensmittel-Verschwendung

Im Kontrast zu den Konsumwelten in Malls offenbarte Keynote Speaker Professor Hartwig de Haen, Präsidiumsmitglied der Welthungerhilfe, wie es um den Hunger in der Welt steht. Rund 900 Millionen Menschen sind chronisch unterernährt, demgegenüber schaden sich 1,5 Milliarden Menschen durch Überernährung. Die Aussichten sind nicht gut: Im Jahr 2050 kratzt die Bevölkerung an der 10-Milliarden-Marke und viele Staaten, denen es vom Einkommen her dann besser geht als heute, werden dank eines Fleischkonsums wie hier bei uns ähnlich verschwenderisch mit den landwirtschaftlichen Flächen umgehen. Erschwerend kommt hinzu: Das globale Produktionspotenzial dürfte wegen des Klimawandels sinken, so die düsteren Prophezeiungen. Was tun? Neben dringenden Politikreformen in den Hungerländern gelte es, die Konkurrenz von Teller – Tank – Trog aufzuheben. „Hunger und Armut sind nicht Schicksal, sondern menschen-gemacht“ ist de Haen überzeugt. Dazu gehöre auch, hierzulande die immense Verschwendung einzudämmen.

Genau dafür präsentierte Claus-Peter Hanke von Unilever-Food Solutions ein für die Branche geeignetes Instrument: „United against waste“. Eine Initiative, der der VdF gerade einen Tag zuvor nach Beschluss durch die Mitgliederversammlung beigetreten war. Die vorbildliche Branchenaktion für den Außerhausbereich hat große Ziele, aber selbst ein minimales Erreichen wäre lohnenswert angesichts der Ausmaße der aktuellen Verschwendung. Nur einige Fakten: 20 Prozent auf dem Teller werden nicht leergegessen, sondern landen im Müll. Ein Viertel des weltweiten Wasserverbrauchs wird für den Anbau von Nahrungsmitteln verwendet, die auf dem Müll landen. Zur Klimaerwärmung trägt der Lebensmittelmüll mehr bei als der gesamte Transportverkehr weltweit. Eine Halbierung des Lebensmittelmülls spart ebenso viele Klimagase wie die Stilllegung jedes zweiten Autos. Ein bemerkenswerter Schlusspunkt der Tagung, der verdeutlichte, warum es lohnt, das Ganze zu sehen. Das System Küche ist ein Profitsystem und ein Ökosystem zugleich. VdF-Fachplaner vermögen es verantwortungsvoll zu gestalten.

Die nächste Fachtagung findet vom 12. bis 13. Juni 2014 in Berlin statt.

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